Lügner haben einen schlechten Ruf. Lügner missbrauchen das Vertrauen ihrer Mitmenschen, sie düngen den Boden der von Unsicherheit geplagten Welt, in der man nie weiss, wer wen wann belügt. In Franz Grillparzers «Weh dem, der lügt» sind Lügner gar der leibhaftige Teufel: «Ein Teufel bist du, der allein ist Lügner / und du ein Teufel, insofern du lügst.»
Es gibt Menschen, die behaupten, nie zu lügen – was eine der häufigeren Lügen ist –, andere lügen sich chronisch ein besseres Leben zurecht. Es gibt Lügen, die erfolgen routiniert, dienen dem sozialen Überleben, andere dienen der eigenen Sicherheit, wieder andere der bewussten Schädigung. Der Durchschnittsschweizer lügt laut Studien mindestens zweimal täglich.
Wir glauben nicht an die uneingeschränkte Wahrheit. Wir schätzen sie zwar als hohes Gut, wissen aber, dass wir nicht mit ihr rechnen können. Zu oft gerät sie mit Werten wie Anstand und Rücksicht in Konflikt. In den Schriften des heiligen Augustinus über die Lüge gibt es die Pflicht zur unbedingten Wahrhaftigkeit: Unabhängig von den besonderen Umständen werde ein Lügner dadurch schuldig, dass er bewusst etwas Unwahres sage, um andere zu täuschen. Gestützt wurde sein Plädoyer vom Lügenverbot später von Immanuel Kant, der die unbedingte Pflicht zur Wahrhaftigkeit postulierte.
Dass wir dereinst in einer Welt leben werden, in der wir einander nichts als die Wahrheit sagen, droht allerdings nicht. Allein schon, weil uns die Lüge seit je zu sehr fasziniert. «Die Menschen leben nicht nur von Wahrheiten, sie brauchen auch Lügen: die Lügen, die sie frei erfinden, nicht die Lügen, die man ihnen aufzwingt», sagte der Schriftsteller Mario Vargas Llosa. Vielleicht macht das den Unterschied aus zwischen Mensch und Teufel.