Wie wird sie wohl aussehen, die Welt von morgen? Propheten, Wissenschafter und Science-Fiction-Autoren nahmen sich immer wieder dieser Frage an und beschworen drohende Apokalypsen herauf oder verbreiteten kühne Visionen des Fortschritts.
Die Trefferquote war insgesamt bescheiden, hin und wieder stimmte zumindest die Stossrichtung. Mitte des 19.?Jahrhunderts prognostizierte man den New Yorkern, bis ins Jahr 1910 würden sie im Pferdemist ersticken – wegen des ständig zunehmenden Kutschenverkehrs. Dass heute andere Kutschen die Grossstädter zu Stosszeiten lähmen, zeigt, wie viele Unbekannte unseren Weg in die Zukunft pflastern.
Dennoch verlor das Spiel nie seinen Reiz. Mit der wachsenden Technisierung entstanden Vorstellungen durchrationalisierter Schlaraffenländer: auf Schienen geführte Autos, Siedlungen auf dem Mond und unter dem Meer, Roboter, die im Haushalt und in Altersheimen den Menschen zur Hand gehen.
Auf jedes Hohelied auf den Fortschritt folgte stets die Furcht, von ihm überrollt zu werden. Energiekrisen und Umweltkatastrophen lösten Gegenbewegungen aus. An die Zukunftsgläubigen erging die Warnung, die Grenzen des Möglichen – und Wünschbaren – seien erreicht.
Wie wird sie also wohl aussehen, die künftige Welt? Das fragten wir für dieses Heft neun Schriftsteller, die sich weder als Propheten, Wissenschafter noch Science-Fiction-Autoren hervorgetan haben. Fünf Frauen und vier Männer erzählen uns in Kurzgeschichten, was auf uns zukommen wird. Sie erhielten eine Carte blanche, weshalb sich ein Text im kommenden Jahrtausend ansiedelt, ein anderer am morgigen Tag.
Die Schriftsteller schreiben in verschiedenen Sprachen und mit unterschiedlichem literarischem Temperament. Einzig eine Vorgabe haben wir ihnen gemacht. In jedem Text musste der Satz vorkommen: «Doch da war es schon zu spät.» Ein Satz, der, so viel wird in diesem Heft klar, nicht zwingend eine Apokalypse nach sich ziehen muss.